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Organisationshandbuch für die Rechtsanwaltskanzlei – altbacken oder eigentlich hoch aktuell?

Anlässlich einer Fortbildungsveranstaltung erklärte mir ein Kollege, dass Organisationshandbücher in Rechtsanwaltskanzleien lediglich etwas für „Organisations-Freaks“ oder „Bleistiftspitzer“ seien…

Business Meeting unter Rechtsanwälten
Die explizite Festlegung der Kanzleiorganisation in einem Organisationshandbuch ist eine hervorragende Grundlage für die Digitalisierung der Arbeitsabläufe.

Anlässlich einer Fortbildungsveranstaltung erklärte mir ein Kollege, dass ein Organisationshandbuch in Rechtsanwaltskanzleien lediglich etwas für „Organisations-Freaks“ oder „Bleistiftspitzer“ seien. Er sei bisher sehr gut ohne ausgekommen, für so etwas habe er keine Zeit, die Arbeitsbelastung sei auch so schon viel zu hoch. Tatsächlich? Hätte ich eigentlich fragen sollen, habe es mir aber verkniffen. Stattdessen fragte ich den Kollegen, wie er denn die vielen digitalen Neuerungen organisatorisch einführen wolle, wie zum Beispiel beA, Onlineakte, Terminvergabe übers Internet, digitales Diktat oder gar die vollständig digitale Akte?

Ich bin überzeugt, dass nicht wenige Inhaber oder Partner von Rechtsanwalts-Unternehmen so oder ähnlich, wie der Kollege, denken. Andere wiederum erkennen vielleicht die Notwendigkeit, sich besser zu organisieren, finden aber weder die Zeit noch die Energie, noch die Unterstützung in der Kanzlei, sich um eine bessere Dokumentation der Abläufe zu kümmern.

In meiner jahrzehntelangen Berufstätigkeit – zunächst in einem Tochterunternehmen eines kanadischen Konzerns – war und bin ich immer für die internen Strukturen und Organisationsabläufe (damals hieß das „corporate affairs“) zuständig gewesen und habe verschiedenste Organisationsformen vorgefunden, die aber stets sorgfältig dokumentiert waren, also in Handbüchern. Deshalb ist es für mich eine Selbstverständlichkeit gewesen, von Anfang an in unserer Kanzlei (zehn Rechtsanwält/innen, davon zwei Anwaltsnotare) die gesamte Organisation in einem Handbuch zu dokumentieren.

Ich glaube im Übrigen, dass in vielen Kanzleien zwar kein explizit eingeführtes Kanzleihandbuch existiert, tatsächlich jedoch die Organisationsstrukturen schriftlich dokumentiert werden, zum Beispiel durch verbindliche schriftliche Arbeitsanweisungen.

Strukturierte Organisationsabläufe als unternehmerische Basis

Es dürfte nicht zu bestreiten sein, dass die Konkurrenzfähigkeit einer Anwaltskanzlei nicht nur von den individuellen Fähigkeiten der Berufsträger abhängt, sondern auch von ihren Fähigkeiten als Unternehmer. Dazu gehört selbstverständlich die ständige Anpassung an die Modernisierung und Technisierung (sprich: Digitalisierung) unserer Arbeit.

Allein in den letzten Jahren mussten in kurzen Abständen Entscheidungen über die Neueinführung von Technologien getroffen werden:

  • Einführung einer Anwender-Software (kaum vorstellbar, dass es immer noch Kanzleien geben soll, die keine Software benutzen)
  • die Frage, wie Diktate erstellt werden (immer noch analog oder digital oder vermittels Dragon Dictate),
  • E-Mail, EGVP, beA, beN,
  • Einführen der sog. Onlineakte,
  • Terminvergabe übers Internet
  • Optimierung des Internetauftritts etc.
  • Einführung von Heimarbeitsplätzen

Dieser Entwicklung darf man sich nicht verschließen, schon gar nicht, wenn man wettbewerbsfähig bleiben will. Wenn ich mir vorstelle, dass mit immer kürzerer Taktrate auch künftig Neuerungen eingeführt werden müssen, kann das zuletzt nur zum Chaos führen, es sei denn: Es existieren gut strukturierte Organisationsabläufe, in die Neuerungen, die die bisherigen Abläufe ersetzen oder ergänzen sollen, eingeführt werden können.

Was spricht eigentlich für und was gegen die Einführung eines Orga-Handbuches?

Der Aufwand bei der Erstellung eines Kanzleihandbuches

Kümmern wir uns zunächst um die unübersehbaren Nachteile, die viele Kanzleiinhaber davon abhalten, ein Kanzleihandbuch einzuführen:

  1. Die Einführung ist mit großem Zeitaufwand verbunden. Keine Frage. Eine aufwändige Ist-Analyse ist unvermeidlich und zeigt in der Regel, dass viele Organisationsabläufe zwar „irgendwie“ funktionieren, aber nicht wirklich sorgfältig durchdacht sind, sondern sich im Laufe der Jahre entwickelt und oft auch verselbständigt haben. Wer sich dieser Mühe unterzieht, wird vielleicht mit Erschrecken feststellen, dass Mitarbeiter und Teams häufig eigene „Lösungen“ gefunden haben, die zwar meistens funktionieren, weil sie pragmatisch sind, aber ein außerordentlich hohes Fehlerrisiko und damit Haftungsrisiko beinhalten. (Frage des Inhabers, sobald etwas fehlerhaft lief: „Wie macht Ihr das eigentlich sonst?“).
  2. Nach der Ist-Analyse muss dann mühevoll in zeitaufwändigen Diskussionen unter den Partnern und mit den Angestellten jeder einzelne Ablauf strukturiert, formuliert, geprüft (unter anderem unter Beachtung der aktuellen Haftungsrechtsprechung) schließlich verabschiedet werden. Damit Sie einen Eindruck bekommen, was alles geregelt werden muss, hier die Mindestanforderungen an Ihre Organisation und damit an ein gegebenenfalls einzuführendes Handbuch:
    • Arbeitsabläufe: wie funktioniert die Kanzlei eigentlich;
    • Zuständigkeiten und Kompetenzen: wer darf worüber entscheiden, wer vertritt wen;
    • Pflege der Mandanten, der Mandate;
    • Aktenumlauf von der Anlage bis zur Vernichtung;
    • sicherer Posteingang und Postausgang
    • Wiedervorlagen, Fristen, Aufgaben, Diktate usw.

    Diese Aufzählung ist keineswegs vollständig.  Nicht unerwähnt bleiben muss, dass Sie auf jeden Fall auch Ihre Unternehmenskultur formulieren müssen, also postulieren, nach welchen Grundsätzen Sie Ihren Beruf gemeinsam ausüben und nach welchen Regeln Sie den Umgang mit Mandanten, Gerichten pflegen usw.

  3. Wenn Sie sich schließlich der Mühe einer Ist-Analyse und der Einführung des Handbuches unterzogen haben, ist es zukünftig auch noch erforderlich, das Handbuch zu pflegen und an Änderungen der Bedingungen anzupassen (zum Beispiel an jeweils geänderte Haftungsrechtsprechung, gesetzliche Änderungen, Neueinführung von Technologien, wie z. B. beA oder beN). Hierfür muss eine Person oder ein Team verantwortlich sein und regelmäßig Zeit investieren.

Der Nutzen eines Organisationshandbuches

Lohnt sich denn dieser ganze Aufwand wirklich? Es läuft doch, was sollte mich also bewegen, mich dieser Mühe zu unterziehen, was ist denn so vorteilhaft an der Einführung eines Organisationshandbuches, dass es die Nachteile mindestens ausgleicht? Wo sind also die Vorteile?

  1. Bereits eine sorgfältige Ist-Analyse deckt Organisationsmängel gnadenlos auf und führt zwangsläufig dazu, dass Arbeitsabläufe geändert und/oder angepasst werden, also mit den Kollegen und Mitarbeitern formuliert und verabschiedet werden müssen. Glauben Sie mir: Sie schlafen anschließend deutlich besser, weil die Ungewissheit darüber, ob ihre Organisation den erforderlichen Anforderungen entspricht, gewichen ist.
    Ist das geschafft, ist der Weg zu einem Organisation-Handbuch nicht mehr weit. Existiert das Handbuch erst einmal und wird es regelmäßig gepflegt (was dann nur noch wenig Aufwand ist) können Sie sicher sein, dass die Organisationsabläufe den Anforderungen der Rechtsprechung genügen.
  2. Auch arbeitsrechtlich stellt ein verbindlich eingeführtes Handbuch einen sicheren Maßstab für die Verpflichtungen Ihrer Kollegen und Mitarbeiter dar. Es wird des Weiteren verhindert, dass Mitarbeiter auf die Idee kommen, sich selbst zu organisieren oder das in Ihrer Kanzlei innerhalb einzelner Teams sog. „Insellösungen“ entstehen; ein Standardproblem in größeren Organisationen, besonders, wenn ein Unternehmen mehrere Stockwerke oder gar Standorte hat.
  3. Wer mit dem Gedanken spielt, seine Kanzlei zertifizieren zu lassen, kommt im Übrigen um ein solches Handbuch ohnehin nicht herum. Auch wenn es zum Sinn einer „Zertifizierung“ viele unterschiedliche Meinungen gibt, sind Kanzleien, die im Schwerpunkt für Unternehmen tätig sind, irgendwann gezwungen, sich der Mühe einer Zertifizierung (also der Einführung eines Handbuches) zu unterziehen, da immer mehr Unternehmen aufgrund ihrer eigenen Qualitätsanforderungen nur noch Berater beauftragen dürfen, die eine entsprechende Zertifizierung nachweisen können.
  4. Wir alle üben unseren Beruf letztendlich aus, um unseren Lebensunterhalt zu sichern (nicht nur deshalb, aber hauptsächlich). Ich bin sicher, dass eine gut strukturierte und dokumentierte Büroorganisation „unter dem Strich“ deutliche wirtschaftliche Vorteile bringt. Gut durchdachte Arbeitsabläufe – verbunden mit einer modernen Anwender-Software (unverzichtbar) – ersparen Personalkosten. Die Arbeit geht leichter von der Hand und macht mehr Spaß, wenn sie gut und zuverlässig organisiert ist und Zuständigkeiten klar definiert sind.
  5. Berufsanfänger und Wechsler werden sehr schnell eingearbeitet, Vertretungen funktionieren bei Urlaub oder Krankheit wesentlich reibungsloser. Fruchtlose Diskussionen über Organisationsabläufe werden in der Zukunft auf ein Minimum reduziert.
  6. Mit Sicherheit lesen Sie auch regelmäßig die Entscheidungen der Obergerichte zur Anwaltshaftung. Häufig geht es ja um versäumte Widereinsetzungsfristen und dem vergeblichen (manchmal auch kläglichen) Versuch, die durch Organisationsmängel verursachte Fristversäumung noch zu retten. Bei einer gut dokumentierten und kontrollierten Organisation dürften derartige Fehler weitestgehend vermieden werden, jedenfalls dürfte Ihnen kein Organisationsverschulden mehr vorgeworfen werden.
  7. Zur Zertifizierung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.
  8. Im Vergleich zu den bisherigen (ich nenn‘ es einmal „analogen“ Abläufen) wird sich sehr schnell zeigen, dass die Digitalisierung, wenn sie durch vorgegebene Organisationsabläufe gut vorbereitet wird, geradezu zwingend zu Rationalisierungen führt, also zur Ersparnis von Personalkosten und diese sind bekanntermaßen der größte „Brocken“ im Jahresabschluss.

Natürlich muss sich jeder Partner oder Inhaber einer Anwaltskanzlei letztendlich selbst entscheiden, wie er sein Unternehmen organisiert, aber glauben Sie mir: Die Mühe der Einführung eines Organisations-Handbuches lohnt sich wirklich. Ist die Organisation erst sorgfältig strukturiert und in einem Handbuch dokumentiert, läuft die tägliche Arbeit bei allen Rechtsanwälten und Mitarbeitern reibungsloser. Es bleibt deutlich mehr Zeit für die Bearbeitung der Mandate, also mehr abrechenbare Arbeitszeit oder etwas mehr Freizeit – auch nicht schlecht.

Fazit:

Es geht nicht nur darum, im härter werdenden Anwaltsmarkt konkurrenzfähig zu bleiben, sondern möglichst darum, besser zu sein oder besser zu werden als die Wettbewerber. Ohne durchdachte, erprobte und in einem Organisationshandbuch dokumentierte Kanzleiorganisation wird das nur sehr schwer gelingen.

Jochen Kopp
Rechtsanwalt und Notar Jochen Kopp, Rechtsanwälte Kopp und Partner, ist nicht nur Jurist, sondern war vor Gründung seiner Kanzlei auch als Vice President Corporate Affairs für die gesamte interne Organisation eines internationalen Unternehmens tätig.

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