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Die Frist, die Rechtsanwaltsfachangestellte und Legal Tech.

Junge Rechtsanwaltsgehilfin am Schreibtisch sitzend
Viele Legal Tech Angebote werden vor allem aus Mandantensicht entwickelt, berücksichtigen aber kaum die rechtssichere Kanzleiorganisation. Bis es eine virtuelle Anwaltsassistentin gibt, die die Fristen berechnen und notieren kann, wird es also noch eine Weile dauern.

Während die Rechtsanwälte noch nach einer gut ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten für die rechtssichere Berechnung und Notierung der Fristen in ihren Kanzleien suchen, erfinden die Startup Visionäre im Rahmen der „Berlin Legal Tech“ Konferenz Ende 2016 vorsorglich schon mal die virtuelle Kanzlei-Assistentin. Sie hört auf den Namen „RenoJane“[1]. Zugegeben, sie hört noch nicht so richtig, zum einen versteht sie nur Englisch zum anderen ist sie auch noch etwas begriffsstutzig:  „Sorry, I don´t understand!“ Falls Sie sich jetzt gerade fragen, wer um Himmels Willen „RenoJane“ ist, hier ein kleiner Ausblick in die Kanzleiorganisation der Zukunft.

Virtuelle Assistentinnen

„RenoJane“ könnte die kleine Schwester von „Siri“ aus dem Apple Mutterhaus oder die jüngste Tochter von „Alexa“ der Amazon Väter sein. Beides sind auf Befehl plappernde und zuweilen etwas zickige Assistentinnen. Die eine lauert in Ihrem iPhone, die andere sitzt auf einem Sideboard in Ihrer Wohnung und will ständig mitreden. Sie können die Damen alles fragen, aber sie antworten nur so geschickt, wie Sie es von Ihnen gelernt haben. Was Sie den Schwestern nicht richtig beigebracht haben, können sie nicht verstehen. „Sorry, I don´t understand!“ Das ist in etwa so wie beim Phonodiktat.

Natürlich greifen Siri und Alexa zusätzlich auf Unmengen an Informationen aus dem Internet zu und so recherchieren die mit Daten gefütterten Assistentinnen schnell, umfangreich und vielfältig – vorausgesetzt man hat sie gut ausgebildet. Üben, üben, üben – solange bis die Kommunikation zwischen ihr und ihrem Ansprechpartner stimmt.

Das kommt Ihnen als Anwalt doch sicher sehr bekannt vor. Ausbilden, anweisen, kontrollieren, üben und hämmernde Wiederholungen, das gehört gegenüber Ihrem Kanzleipersonal zu Ihren anwaltlichen Berufspflichten.

„Vor der Überlassung der Fristenkontrolle muss der Anwalt mit der ausgewählten Fachkraft die konkrete Vorgehensweise erörtern und dies auch schriftlich festlegen sowie die Mitarbeiterin auf Kenntnis der relevanten Fristen und Fristenberechnung prüfen.“ [2]

Sie dürfen zwar bestimmte Aufgaben delegieren, bleiben aber in der Verantwortung.  Wer weiß dies besser als die Haftpflichtversicherer? Das Fristversäumnis ist immer noch der häufigste Haftungsfall und viel zu oft ein Organisationsverschulden in der Kanzlei.  Genau deshalb wünscht sich der Anwalt ja so ein „Fristenwesen“, was für ihn die Fristen sorgfältig und zuverlässig berechnet und notiert. Dem BGH im eigetretenen Haftungsfall nachvollziehbar, lückenlos und zweifelsfrei zu belegen, dass das Fristversäumnis der Partei unverschuldet war, ist übrigens an eine kurze 2-Wochen-Frist gebunden und im Falle eines Organisationsverschuldens ausgeschlossen. Im dem zur Wiedereinsetzung der Frist führenden Ausnahmefall des  „Büroversehens“  handelt es sich um eine persönliche Nachlässigkeit einer ansonsten nachweislich zuverlässigen, sorgfältig ausgesuchten und überwachten Rechtsanwaltsfachangestellten. Es ist also ganz im Sinne des Anwalts, die Fristennotierung zu delegieren. Vorausgesetzt er hat so ein „Fristenwesen“. Leider werden die ja immer rarer, vor allem die gut ausgebildeten und geübten.

Was macht man, wenn man für (wenig) Geld und gute Worte keine Rechtsanwaltsfachangestellte mehr findet? 

Man kann selbst eine ReNo ausbilden, man könnte seiner Rechtsanwaltsfachangestellten mehr Gehalt zahlen oder in moderne Technik investieren. Leider kostet alles Geld. Selbst auszubilden wäre die nachhaltigste Investition in die Zukunft, Mitarbeiterbindung ist in jedem Fall die sicherste und unterm Strich die kostengünstigste. Die Rechtsanwaltsfachangestellte wäre ja unter Umständen schon glücklich, wenn man ihr Können nicht auf die haftungsrelevante Fristennotierung reduzieren würde.

Rettung durch Digitalisierung?
Könnten Sie sich in Ihren kühnsten Träumen vorstellen, mit einer virtuellen Assistentin zusammen zu arbeiten und sich am Ende des Tages darauf zu verlassen, dass sie alle Fristen rechtssicher in den Fristenkalender und in das Anwaltsprogramm notiert hat? Kann diese digitale Zauberfee am Ende  auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim BGH bewirken? Was ist, wenn der Strom ausfällt, das Netz zusammenbricht oder ein digitaler Fehler passiert? Bis das alles technisch richtig läuft, verlassen Sie sich bitte auf die per Hand geführten Fristenkalender [3] . Erfahrungsgemäß kennt Ihr Kanzleisoftwareanbieter die kurze-2-Wochen-Frist vom BGH nicht und sieht auch keine Möglichkeit, Ihre Fristen fristgemäß aus dem System zu reproduzieren. Dann stehen Sie mit dem Fristversäumnis und Ihren Berufspflichten ganz allein vor dem Bundesgerichtshof.

Erst kam beA und nun auch noch RenoJane?
Zum Glück ist das mit der virtuellen Assistenz ferne Zukunftsmusik. Erfahrungsgemäß dauern solche Veränderungsprozesse so lange, bis wir beim Start des Programms den Beginn der Einführung  schon vergessen haben. Manchmal muss auch von ganz oben erst einmal eine Frist gesetzt werden. Wir erinnern uns an beA. Aber auch die Neufassung der Verordnung zur Ausbildung der Rechtsanwalts- Notar- und Patentanwaltsfachangestellten hat über ein Vierteljahrhundert gebraucht; selbst als man sich dazu entschlossen hatte, vergingen noch einmal 5 Jahre. Wir können uns also beruhigen, denn die meisten, der heute lebendigen Fristenwesen, werden längst im Ruhestand sein, wenn RenoJane ihre Arbeit aufnimmt. Obwohl andererseits – viele ReNos werden dann wohl in Altersteilzeit oder auf Minibobasis ihre dürftige Rente aufbessern müssen. Denn bei den bisher gezahlten Durchschnittsgehältern der ReNoPat Berufsgruppe wird das für einen entspanntes Leben nicht ausreichen oft nicht einmal zum Überleben.

Digitalisierungsgespenster und Fristenwesen

RenoJane ist ein Experiment von Programmierern und Juristen, das von den Beteiligten im Rahmen eines „Hackathons“ innerhalb von 48 Stunden entwickelt wurde. Thema „Digitalisierung juristischer Dienstleistungen“. Die Legal Tech Szene wabert ja nun schon länger durch die digitalen Medien, auf den Spuren von Fin Tech und gefolgt von Insur Tech. Es ist von Gründungen und ersten Insolvenzen die Rede, von Kapitalgebern und Verhinderern. Viele Artikel beginnen mit bösen Vorahnungen und beschreiben die  „Gespenster der Digitalisierung“.

Aber ich kann Sie beruhigen, man kann nichts entwickeln und digitalisieren, was man nicht selbst weiß und nicht genau versteht.

„die allgemein in Kanzleien vorzufindende Organisationsstruktur basiert ausschließlich auf Übung und ist für gewöhnlich nur im Kopf des ausführenden Mitarbeiters oder Berufsträgers abgebildet“[4]

Das Wissen der Kanzleiorganisation ist im Kopf des Anwalts! Es da heraus zu bekommen und es in einer Arbeitsanweisung oder gar in ein Kanzleihandbuch schriftlich niederzulegen ist ein Kunststück, zuweilen ein Kraftakt und nicht selten unmöglich. Die Rechtsfachwirtinnen und Rechtsanwaltsfachangestellten, die mit Qualitätsmanagement und ISO Zertifizierung betraut sind, dürfen sich an dieser Stelle mal auf die Schulter klopfen.

Berufsrecht und Legal Tech
Wenn nun Softwareentwickler, Betriebswirte und Juristen einer virtuellen Kanzlei-Assistenten Aufgaben zurufen, dann wird aus der „Frist“ schnell mal ein „Termin“. Was den Rechtsanwalt stutzig macht. Von den Fehlern, die auf Sprachverständnissen beruhen, mal ganz abgesehen. Solange die digitalen Angebote der Legal Tech Start-ups nicht die anwaltlichen Berufspflichten berücksichtigen und absichern, werden sie beim Rechtsanwalt wenig Akzeptanz finden – und das zu Recht. Angebote zu entwickeln, die schneller, transparenter, überall verfügbar und kostengünstiger sind, ist aus Sicht der Mandanten zu begrüßen, aber beleuchtet nur eine Seite der anwaltlichen Tätigkeit. Die rechtssichere Kanzleiorganisation ist eine andere. Bis es eine virtuelle Anwaltsassistentin gibt, die die Fristen berechnen und notieren kann, wird es also noch eine Weile dauern.

Und selbst dann stellt sich ja die alles entscheidende Frage: Wer haftet in diesem Fall für das Fristversäumnis? Gewährt der BGH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil RenoJane am Montag einen schlechten Tag hatte?

Marion Proft
Marion Proft sieht sich mit ihrem Unternehmen LegalProfession als Begleiterin im Univer§um der juristischen Berufe. Sie ist zertifizierte Vermittlerin zwischen Ausbildung, Studium und Beruf und arbeitet als Persönlichkeitstrainerin und Bewerbungscoach.

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